Manchmal entdecke ich etwas winzig Kleines, das mich tief berührt. Es verweben sich zwei Dinge ineinander, Gedachtes und Beobachtetes, die sich zu einem Thema verdichten: Abschied. Doch wie dem Ausdruck verleihen in Sprache und Form?
Ein Versuch:
Der Wartende denkt
an die Geschichte
die er gestern gehört hat
während die Frau hinter dem
Bahnhofschalter den Blick hebt
um sich von der Kundin vor ihm
zu verabschieden
Er habe sich noch einen
Capuccino gewünscht
Einen Capuccino!
und das morgens um zwei
doch die Kundin bückt sich
um in ihrer Tasche etwas zu suchen
Sie habe ihm den Capuccino zubereitet
das Fenster geöffnet
und sei zurück in die Küche
zu ihrer Tochter gegangen
Die Kundin erhebt sich
die Frau hinter dem Schalter
sucht den Blickkontakt
doch wendet sich die Kundin
wieder ihrer Tasche zu
Was dann geschehen sei
könne sie nur anhand
ihrer Tochter erzählen
Sie sei plötzlich aufgesprungen
ins Zimmer ihres Mannes gegangen –
Er sei tot im Bett gelegen
Die Kundin deutet kurz
ein Erheben an
die Augen der Frau
hinter dem Schalter
suchen ihre Augen
doch sie bückt sich wieder
Wenn sie auf seinem Grab
die Blumen sehe, denke sie
an eine Geschichte
die er ihr erzählt habe:
Er sei einmal so erschöpft gewesen
dass sich sein Gehen wie das Wiegen
einer Blume am Wegrand angefühlt habe
Die Kundin erhebt sich
mit der Tasche in der Hand
die beide verabschieden sich
mit flüchtigem Blickkontakt
der sich zu all den anderen gesellt
die in der Bahnhofhalle umherschwirren
Doch einer nähert sich dem Schalter
und schaut der Frau dahinter
in die Augen
unendlich dankbar
für ihre Achtsamkeit